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Die SXSW geht zu Ende und damit auch die Reise von Mediaplus und Plan.Net. Was vor allem bleibt, ist das Gefühl eines Umbruchs. Science Fiction im banalen Alltag verankert. Eine Zukunft mit unvorstellbaren neuen Herausforderungen und eine Entwicklungsgeschwindigkeit der Technologien, wie wir sie uns noch vor einem Jahr kaum vorstellen konnten. Der letzte Recap zur SXSW kommt dieses Mal im Doppelpack von Alex Turtschan, Director Innovation bei Mediaplus und Nina Matzat, General Manager Plan.Net Studios.
„We all know something is changing, right? You guys feel it as well?” So begannen die meisten Sessions der SXSW. Wir blicken zurück auf ein Jahr bahnbrechender Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Unsere Kinder nutzen ChatGPT heute ganz selbstverständlich, um etwas so Banales wie ihre Hausaufgaben zu erledigen – mit Technologie, die uns noch vor wenigen Jahren wie Science-Fiction vorkam. Und es hat weniger als ein Jahr gedauert, bis diese Science Fiction zur Normalität geworden ist.
KI – wenn die Maschine vor dir weiß, was du tust
Was die SXSW dieses Jahr sehr besonders gemacht hat: Die Gespräche und Einschätzungen über KI wurden sehr konkret, gingen in den meisten Fällen über Buzzwords und einfache Wahrheiten und Thesen hinaus. Für Amy Webb, CEO des Future Today Institute, steht KI im Zentrum eines neuen Technologie-Superzyklus, auf einer Stufe mit Elektrizität, der Dampfmaschine und dem Internet. Nur haben wir es diesmal nicht mit einer „General Purpose Technology” zu tun, sondern mit drei. Neben KI wird das Internet of Things zum „Connected ecosystem of things”. Und nicht zuletzt werden wir das Zeitalter von Biotechnologie und „Generative Biology“ einläuten. Wir werden Biocomputer erleben, die aus menschlichen Gehirnzellen gebaut werden.
Ein Satz von Amy Webb hat uns besonders aufmerken lassen: „AI will run out of Internet soon.” Die aktuellen Generative-AI-Modelle sind trainiert auf Daten aus der Vergangenheit – zumeist mit Abermillionen von Texten und Bildern aus mehreren Jahrzehnten Internet. Für die nächste Evolutionsstufe von KI und den Wandel von Large Language Models (LLMs) zu Large Action Models (LAMs) braucht es jedoch mehr und vor allem andere Daten.
Der beste Weg, diese zu bekommen? Wearables, die wir 24/7 mit uns tragen, in allen Formen und Größen: von Smart Rings über Smart Glasses und AI Pins bis hin zu den von Amy Webb wenig schmeichelhaft als „Gesichtscomputer” bezeichneten Devices wie der Apple Vision Pro – dazu unten mehr. In den nächsten Monaten und Jahren werden wir eine wahre Explosion an Devices erleben. Wo LLMs in der Lage sind, vorherzusagen was wir als nächstes sagen wollen, werden LAMs wissen, was wir als nächstes tun – vielleicht sogar, bevor wir es selbst wissen.
Klingt aufregend, eröffnet allerdings eine ganz neue Dimension an Problemen rund um Datenschutz, Privatsphäre und Regulierung. Es ist an der „Transition Generation”, und denen, die uns folgen, diesen Wandel zu begleiten und in die richtigen Bahnen zu lenken.
Der Sprung zum überübermorgen: aus GenZ wird Alpha
Doch was macht das eigentlich mit uns Menschen, auch das eine zentrale Frage der SXSW 2024. Während ein Großteil der Marketing- und Geschäftswelt gerade noch versucht, die Gen Z zu verstehen, wartet mit der Gen Alpha bereits die nächste Konsumgeneration auf uns: die zwischen 2013 und 2024 Geborenen. Hier ist ein Rückblick auf die Elterngeneration notwendig, deren Jugend und Erwachsenenalter von einschneidenden Ereignissen geprägt ist: 9/11, Finanzkrise, Rezession, Pandemie, digitale Revolution, Klimawandel – kurz: Unsicherheit.
Starke Einbindung in die Entscheidungen innerhalb der Familie, Transparenz hinsichtlich Finanzen, selbstverständliche Nutzung digitaler Medien: Die Gen Alpha ist meinungsstark und entscheidungsfreudig, auch was das Verhältnis zu Medieninhalten und Marken angeht. Technologie kommt im Zweifel vor Marke – hier gilt es aufzupassen.
Und das Marketing? Kommt kaum hinterher!
Das Marketing hat hier viel zu stemmen: Die Abkehr von klassischen Zielgruppen hin zu interessensgetriebenen Communities, aber auch das geschickte Nutzen von Hype-Zyklen rund um Produkte, Popkultur und Persönlichkeiten. Dazu kommen die Anforderungen an stringente Markenführung in Zeiten von hoch-personalisierten Kampagnen. Angesichts von Kostendruck, Effizienzdenken und oft schlechter Produkt- und Servicequalität – wie Jake Brody von Accenture Song kritisiert – eine gewaltige Herausforderung für CMOs.
Lädierte Kunden-Marke-Beziehungen zu reparieren, die eigene Marke zu differenzieren, der Umgang mit neuen Technologien (von KI bis Spatial Web) sind Herkulesaufgaben. Hier tut es gut, sich an der „Beyond the Buzz”-Session von Noor Naseer, Basis Technologies, zu orientieren: „Focus on your own problems and don’t worry about what others are doing.” Oder etwas positiver formuliert: Mit Fokus auf die eigenen Stärken, Ideen und Kreativität meistern wir auch diese Transition.
Alex Turtschan, Director Innovation bei Mediaplus
Das nächste Internet
Die SXSW erlaubt es, den eigenen Planeten zu betrachten (für uns bei Plan.Net Studios: Spatial Computing, Blockchain und Emerging Tech), das Sonnensystem drumherum (was bedeutet AI eigentlich für unsere Branche, unsere Gesellschaft und die Zukunft der Menschheit?) und darüber hinaus – wortwörtlich – das ganze Universum (Danke, NASA).
Genau das ist die große Stärke der Konferenz. Nur durch den Blick über unsere eigene Bubble hinaus können wir die Ereignisse in unserer Bubble vernünftig einordnen. Und manchmal erdet es auch, wenn man zwischen Futuristin Amy Webb und ChatGPT-Chef Deng live mit Astronaut:innen auf der ISS spricht und hört, wie an den Lösungen für Krebs, Alzheimer und Klimakrise geforscht wird. Oder wie Scott Galloway sagen würde: „Life’s so rich.“
Apple Vision Pro – der Mac fürs Gesicht
Im Kern ist Spatial Computing die Verschmelzung von Computer Vision, Extended/Virtual Reality, AI und der echten Welt. Es wird uns ermöglichen, auf ganz neue Arten miteinander zu interagieren und zu kommunizieren und vor allem das Verständnis unserer elektronischen Begleiter für die Welt auf ein völlig neues Niveau heben: Raum, Audio, Daten – alles wird nutzbar, fühlbar und interagierbar. Das führt zu neuen Formen von Entertainment, Handel und Bildung – die physische Welt als Leinwand für digitale Interaktion. Bestes Beispiel: Die Apple Vision Pro.
Elizabeth Bramson-Boudreau, CEO der MIT Technology Review, sagt, was alle denken: Es gibt bereits diverse Headsets und VR-Geräte. Der Unterschied zu allen Vorgängern, die versucht haben, VR und AR an die Massen zu bringen: „It’s Apple“. Für Ted Schilowitz, Futurist bei Paramount Global, ist Apples Superkraft deshalb nicht Innovation oder Erfindung, sondern „Refinement“. Man hat sich aufgemacht, User Experience, Auflösung, Immersion, Sensorik, Design und verfügbaren Content zu perfektionieren. Die erste Vision Pro ist eine „Developer Version“ – aber es wird nicht lange dauern, bis die nächste Iteration zur Verfügung stehen wird, die nicht nur optimiert, sondern auch für eine breitere Masse an Nutzer:innen erschwinglich sein wird.
Mit der Vision Pro begründet Apple aber auch eine neue Technologie-Kategorie: Spatial Computing. Die Vision Pro ist eben keine Brille wie Meta’s Quest, die großen Fokus auf Gaming legt. Sie ist ein Mac für das Gesicht. Fast forward: In ein bis zwei Jahren wird Apple diese Kategorie nachhaltig anführen – so die einhellige Meinung auf der SXSW.
Blockchain: Alle Macht den User:innen
Neue Chancen eröffnet hier auch die Blockchain. Das Bashing von NFTs als Spekulationsobjekte und Crypto als Scam ist verklungen. Jetzt können die Bauherren des neuen Internets in Ruhe arbeiten. Chris Dixon, Andreessen Horowitz Partner und Gründer des größten Web3 Venture Capitals a16z, sieht Blockchain als Lösung für die Dominanz und Kontrolle, die Big Tech (Amazon, Google, Apple & Co.) über unsere Daten und – gelinde gesagt – über die gesamte Weltwirtschaft hat. Big Tech hat das Internet monopolisiert. Die große Vision derer, die Blockchain voranbringen, ist es, die Zentralisierung des Internets aufzulösen und den User:innen die Hoheit über Daten und Besitz zurückzugeben.
Zwei große Zukunftsvisionen tun sich hier auf: Blockchain als System von Authentifizierung, Validierung und „Trust“ für Identität, Besitz, und Urheber – und damit ein valides Gegengewicht zu KI. Und zweitens: Blockchain und Tokens als Technologie für Interoperabilität von digitaler Identität, Daten, Besitz und Content und damit als Fundament für das zukünftige Metaverse. Und das sieht ganz anders aus als das geschlossene kleine – und auch schon totgesagte - Spielimperium von gestern.
Ready Player One – vom Buch zur Realität
Die Vision des 2011 verfassten und 2018 verfilmten Buchs „Ready Player One“ von Ernest Cline war bereits eine Zukunftsvision dessen, was wir als das künftige Metaverse bezeichnen. Ein virtuelles Universum, in dem drei grundlegende Prinzipien zusammenkommen: Zum einen die Idee von Konvergenz, der Annäherung und Zusammenführung von unterschiedlichsten virtuellen Welten. Zum zweiten die Datenebene – Informationen darüber, wer wir sind, was wir gerne tun, was wir lieben –, komplett im Besitz der Nutzer:innen. Und zuletzt die Interoperabilität – die Möglichkeit, sich naht- und reibungslos zwischen den Welten zu bewegen, mit all dem, was uns ausmacht: unsere Identität, unser Besitz, unser digitales Leben. Das ist die originäre Vision des Metaverse, festgehalten in Ready Player One.
Spannende News auf der SXSW: Die Mannschaft, die das Buch und den Film zum Leben erweckt hat, ist dabei, die Vision in die Realität umzusetzen. Angekündigt wurden das Readyverse als Plattform und eine Battle Royale Hero Experience, genannt OPEN Autor und Filmcrew haben hierfür elf Unternehmen unter einem Dach vereint und sich mit den größten Gaming Studios verpartnert, unter anderem Microsoft, Epic Games, Ubisoft, Playstation, Mojang. Weitere sollen folgen. Aaron McDonald, Co-Founder der Readyverse Studios, versprach: „The Metaverse is the internet grown up.”
Soweit zur Zukunft des Metaverse. Worüber sich letztendlich aber selbst die schlauesten Köpfe nicht einig sind: Wie die Zukunft mit AI, Spatial, Blockchain und Co. ausgeht. Futuristin Amy Webb eröffnete eine bisweilen dystopische Vision der Zukunft, in der unreglementierte KI die Gesellschaft weiter spalten und zu einer noch größeren ökonomischen und sozialen Kluft führen könnte. Ray Kurzweil, Begründer des Prinzips der Singularität und der Mensch, der sich länger mit AI beschäftigt hat als jeder andere Mensch (65 Jahre, wow), zeichnete hingegen ein sehr optimistisches Bild der Zukunft unter AI: „Tomorrow’s gonna be better and better“ – wenn wir es nur schaffen, die ethischen Herausforderungen von AI zu lösen. Spoiler: Es sind eine Menge.
Nina Matzat, General Manager Plan.Net Studios
Zuerst veröffentlicht bei Horizont.