TikTok-Verbot: Ein politischer und wirtschaftlicher Wendepunkt

Tamara Alesi

Tamara Alesi

Chief Executive Officer, Mediaplus North America

Die TikTok-Saga in den USA ist eine Achterbahnfahrt voller politischer Dramen, juristischer Manöver und großer Emotionen bei Creator:innen und Marken. Die Diskussionen über ein mögliches Verbot von TikTok betreffen die nationale Sicherheit, die Privatsphäre, die globale Politik und die Zukunft von Social Media. Alle Augen sind auf die Plattform gerichtet. Und alle fragen sich: Welche Auswirkungen hat ein solches Verbot für Unternehmen, Influencer:innen und User:innen in den USA?

Politisches Tauziehen

Die Idee, TikTok zu verbieten, entstand ursprünglich aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Verbindungen zu China – insbesondere im Hinblick auf Datenschutz und den Einfluss der Plattform auf US-Nutzer:innen. Die Forderung der Trump-Regierung nach einem Verbot wurde mit der Sorge um die nationale Sicherheit begründet, da die Datenerfassung der App die Privatsphäre von US-Bürger:innen gefährden könnte. Nach und nach änderte sich der politische Diskurs jedoch. Einige Gesetzgeber, die das Verbot zunächst unterstützt hatten, begannen zu zweifeln, als ihnen die Folgen für Millionen amerikanischer User:innen, Creator:innen und Unternehmen klar wurden, die auf der Plattform unterwegs sind.

Das politische Tauziehen ist deutlich zu spüren: Ein mögliches Verbot spiegelt eine breitere Debatte über die Regulierung globaler Tech-Giganten und die zunehmende Polarisierung von Online-Plattformen wider. Die schnelle Aufhebung des Verbots am Sonntag – nach nur wenigen Stunden – trägt aktuell zur Verwirrung und Unsicherheit über die Zukunft von TikTok in den USA bei.

Auswirkungen auf Unternehmen und Creator:innen

Aus wirtschaftlicher Sicht könnte das mögliche Ende von TikTok zu einer erheblichen Störung des Marktes führen. Marken, die stark in die Plattform investiert haben, müssen sich ebenso wie Creator:innen, die ihre Inhalte dort erfolgreich monetarisieren, auf eine abrupte Kehrtwende einstellen. Für Unternehmen könnte die Verlagerung von Werbegeldern auf andere Plattformen den Wettbewerb um Werbeplätze verschärfen und die Kosten für eben diese in die Höhe treiben. Influencer:innen und Creator:innen beginnen bereits, auf Plattformen für kurze Video-Contents wie Instagram Reels und YouTube Shorts auszuweichen – Instagram beispielsweise hat bereits ähnliche Funktionen wie längere Reel-Formate eingeführt.

Für Creator:innen wie mich, die ihre kleinen Communities rund um Nischenthemen wie Gartenarbeit aufgebaut haben (https://www.tiktok.com/@gardening_with_tam), hat TikTok einen unschätzbaren Wert. Es hat einen Raum geschaffen, um sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, Wissen auszutauschen und Beziehungen aufzubauen. Sollte TikTok tatsächlich abgeschaltet werden, wäre es eine enorme Aufgabe, diese Verbindungen an anderer Stelle wieder aufzubauen. Dabei geht es nicht nur um den Algorithmus, sondern auch um das einzigartige Gemeinschaftsgefühl, das TikTok zu einer so starken Plattform für Content Creator:innen aller Branchen macht.

Das persönliche Dilemma

Bei mir persönlich löst das TikTok-Verbot widersprüchliche Gefühle aus, insbesondere als Elternteil. Ich verstehe zwar die Fixierung meiner Tochter auf die Plattform, sehe aber auch die möglichen Vorteile eines Verbots. Das TikTok-Ende könnte als Katalysator wirken, um das Leben von Kindern wieder ins Gleichgewicht zu bringen und sie zu mehr Interaktion im realen Leben, Sport und Bildung ermutigen. Das Dilemma, vor dem wir als Eltern und Creator:innen stehen, ist klar: Wie können wir ein Gleichgewicht zwischen digitalem Leben und realen Beziehungen herstellen – insbesondere in einer Zeit, in der Politik und soziale Medien immer stärker miteinander verflochten sind?

What’s next?

Die Zukunft von TikTok bleibt ungewiss. Das Wochenende entpuppte sich als Achterbahnfahrt der Updates. In der einen Minute war TikTok abgeschaltet, in der nächsten wieder aktiviert, aber nicht mehr in den Apple oder Google App Stores verfügbar. Der US Supreme Court hat entschieden und das Verbot bleibt vorerst bestehen, aber der neue US-Präsident glaubt, dass er sich mit Versprechungen über den Supreme Court hinwegsetzen kann. Ist das also eine echte Drohung oder nur eine Verhandlungstaktik, um eine Lösung zu erzwingen – wie zum Beispiel eine mögliche Beteiligung der US-Regierung an TikTok, um den Weiterbetrieb der Plattform zu ermöglichen?

Marketer müssen neugierig auf Menschen sein, der Begriff „Konsument:in“ greift hier viel zu kurz. Warum lieben Menschen TikTok? Die Antwort lautet: Community und Neuentdeckung. TikTok ermöglicht es allen, die Hand zu heben (oder auf Play zu drücken) und an einer Unterhaltung teilzunehmen. Funktionen wie Stitching (auf ein Video oder einen Kommentar mit einem anderen Video zu antworten) erinnern an ein lebendiges Town Hall Meeting. Daran sollten sich andere Publisher und Plattformen ein Beispiel nehmen. Es handelt sich um ein Ökosystem, das trotz aller Nachahmungsversuche bisher von niemandem kopiert werden konnte.

Mit Investitionen sollten sich Marketer vorerst zurückhalten. Es gibt bereits starke Hinweise für die Verlängerung des Verbots. Sollte es bestehen bleiben, müssen Marketer dem Instinkt widerstehen, auf den nächsten Zug aufzuspringen. Sie müssen ihre TikTok-Gelder auf Kanäle verteilen, die für ihre Zielgruppe und Ziele sinnvoll sind –nicht ihre besten Content Creator:innen im Stich lassen, sondern beobachten auf welche Plattformen sie wechseln. Und langfristig: Nutzerverhalten beobachten. Menschen werden neue Wege finden, sich zu vernetzen und Technologie auf innovative Weise zu nutzen. Aber Marken, die durch die Geschichten, die sie erzählen, durch die Menschen, die sie unterstützen, und durch die Art und Weise, wie sie Leben verbessern, Communities durchdringen, bleiben erfolgreich.
 

Zuerst erschienen bei Horizont.