Social Media ist wichtig – klar! Aber wie lassen sich die Möglichkeiten für moderne Markenkommunikation voll ausschöpfen? Eine Einschätzung von Social-Media-Expertin Verena Letzner. Warum Influencer:innen so viel mehr sind als Werbeflächen und wie Marken und Institutionen ihren Einfluss für sich nutzen können, veranschaulicht Daniel Hoffmann, Managing Partner TACSY.
Wette drauf: Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass Social Media in der Kommunikation von Marken, Produkten und Services wichtig ist und immer wichtiger wird. Im Jahr 2024 wurden weltweit etwa 219,8 Milliarden US-Dollar für Werbung in Social Media ausgegeben.
Diese Summe (und auch der Anteil am Gesamtbudget) wird in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen – mit einer prognostizierten jährlichen Wachstumsrate von 3,86 Prozent zwischen 2024 und 2028. Junge E-commerce Brands wie Glossier, ein Kosmetikunternehmen aus den USA, oder Gymshark, ein britisches Unternehmen für Fitnessbekleidung, geben sogar an, ihre Produkte fast ausschließlich über YouTube oder Instagram zu bewerben.
Social Media ist eine nahe liegende Möglichkeit, werbemüde Zielgruppen in ihrem privaten Umfeld zu erreichen. Mit Markeninhalten, die sich nicht wie solche anfühlen. Mit Botschaften, die wie Empfehlungen von Freund:innen aussehen. Mit immer neuen Mechaniken, durch die Menschen erreicht werden, die für „klassische“ Werbung nicht mehr empfänglich sind. Die bi-direktionale Kommunikation in Social Media, bei der spontanes Kunden-Feedback und direkte Interaktionen im Fokus stehen, wird immer stärker zur Norm.
Gleichzeitig mit der technologischen und medialen Komplexität steigt die Anzahl der Plattformen seit 2010 stetig – und parallel dazu der Kampf untereinander um die Aufmerksamkeit der Social-Media User:innen. Dabei setzen die Plattformen auf ausgeklügelte, KI-basierte Algorithmen, die unablässig interessante Inhalte in die persönlichen Newsfeeds spülen, auf Creators, die täglich relevante Produkte auf Basis des individuellen Klick- , View-, Scroll- und Like-Verhaltens empfehlen, und sogenannte „Infinity Feeds“, die einen stundenlang vor dem Smartphone fesseln. Hauptsache, die User:innen bleiben so lange wie möglich auf der Plattform. Als Folge dieser Entwicklung sind in den letzten Jahren Spezialagenturen für TikTok oder Clubhouse, Gen-Z Fachexpert:innen zum Thema Creator Marketing und PR-Beratungen mit Fokus auf Influencer-Aktionen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Immer noch jünger, noch hipper, noch spezialisierter. Und alle mit dem Anspruch, sich am besten mit einer Plattform und der Zielgruppe darauf auszukennen. Ist das für Marken wichtig? Zu Beginn ja. Gerade bei neuen Kanälen, die (noch) nicht fest im Media- und Kommunikations-Mix von Unternehmen verankert sind, ist es ratsam, die Mechaniken, Wirkungsweisen und Zielgruppen dahinter zu verstehen – am besten erklärt durch Menschen, die sich selbst auf diesen Plattformen bewegen. Das ist Authentizität pur und bietet für viele Unternehmen gerade in der Anfangsphase sicherlich einen Mehrwert. Doch dann kommt schnell die Frage nach dem „What’s next“ in der komplexen Welt von nahezu unendlichen Möglichkeiten, in der alles wichtig zu sein scheint.
Von der singulären Kanaldenke zum holistischen Storytelling – die Zukunft von Social Media in Marketing und Kommunikation.
Managing Director
Serviceplan NEO
„If everything is a priority, nothing is.“
Es geht also um die Auswahl der für meine Marke relevanten Kanäle – und diese ist zugegebenermaßen gar nicht so einfach. Und definitiv nicht pauschal zu beantworten. Ein strategischer und vor allem holistischer Blick auf die Dinge muss vorab einige Fragen beantworten: Welche für mein Unternehmen wichtigen User: innen erreiche ich wo am besten? Welche Plattform hat welche kommunikative Aufgabe entlang meiner Customer Journey? Welches Zielgruppensegment erreiche ich mit welchen Botschaften? Mit welchem Budget pro Plattform muss ich medial rechnen, um Wirkung zu erzielen? In der heutigen Social-Media Welt geht es nicht mehr nur darum, kreative und mediale Exzellenz auf einer singulären Plattform zu beweisen (das wäre quasi der Tropfen auf dem heißen Stein), sondern diese vielen Touchpoints schlau miteinander zu verbinden. Möglichst effektiv, effizient – und im Sinne der ganzheitlichen Markenführung konsistent und kohärent. Und das ist gar nicht mal so neu: Ich erinnere mich an meine ersten Gehversuche in Social Media, als ich vor über 15 Jahren für ein Unternehmen einen Kanal auf Twitter (heute X) für eine Event-Begleitung eröffnen und darauf diverse Inhalte veröffentlichen durfte. Damals war klar: Das geht nicht ohne Abstimmung mit verschiedensten Teams, das geht nicht ohne Einbettung in die Gesamtkommunikation.
Kreative Geschichten, kanal-agnostisch erzählt: Die „Secret Sauce“ in der modernen, effektiven Markenkommunikation
Seitdem ist viel passiert – Produkt-Launches auf TikTok, Start-up-Stories auf Instagram oder Recruiting-Erfolge auf LinkedIn werden fast schon zum Alltag in unseren Newsfeeds. Wir haben verstanden, dass da Musik drin ist. Und diese Musik gezielt für einen spielen zu lassen, ist Aufgabe von modernen Brands, die das volle Potenzial von Social Media für sich ausschöpfen möchten.
- Alles beginnt mit dem Business- und Kommunikationsziel. Klingt logisch, wird aber im Wettlauf um mehr Likes, Shares, Comments und Follower:innen manchmal vergessen.
- Die integrierte Planung (am besten in crossfunktionalen Teams) wird zum essenziellen Faktor für Brands. Die Skills der holistisch denkenden Expert:innen dahinter sind erfolgskritisch für jedes Unternehmen.
- Der integrierten Planung folgt eine orchestrierte Umsetzung. Das bedeutet Veränderung in Strukturen und Arbeitsweisen. Und in Köpfen.
- Die Plattform-Algorithmen zu beherrschen (oder zumindest ihre Funktionsweisen zu kennen und für sich zu nutzen), wird zentraler Bestandteil der Umsetzung. Denn nicht alles im Social-Media Universum lässt sich gezielt steuern.
- Der Kreislauf „test – learn – optimize“ auf Basis von Kennzahlen und Wirkungsnachweisen ist abschließender Teil der nächsten Iterationsstufe.
Die Zukunft der Markenkommunikation ist multiperspektivisch.
Nein, mit Blick auf den Aufstieg von Clubhouse (was war das noch mal?) oder den Abstieg von Facebook (und das gibt es immernoch!) traue ich mich nicht, über die nächste „heiße“ Must-use Plattform zu orakeln. Denn ich glaube, dass das Social-Media-Spiel nicht über Kanalperfektion zu gewinnen ist, sondern durch die kluge Nutzung aller zur Verfügung stehenden Optionen. Die Zukunft der Kommunikation ist meiner Meinung nach ein Sowohl-als-auch. Social Media UND klassische Kommunikation. Always-on UND Campaigning. Aufwendig produzierte Leuchttürme UND handmade Reels. Langfristiges Branding UND kurzfristige Performance. Influencer- UND Markeninhalte. Meals UND Snacks UND Bites.
Und da unsere Budgets nicht unendlich sind, wird es darum gehen, konkrete EINFLÜSSE und WIRKUNGSWEISEN in der Vielfalt von Kanälen, Inhalten, Botschaften und Absender:innen zu verstehen und messbar zu machen. Und unser Handeln danach auszurichten. Das finde ich spannend – auch noch nach über 15 Jahren im Social Media Business.
Sie sagen uns, welcher Style gerade angesagt ist, welcher Ernährungsstil en vogue ist und wohin unser nächster Trip gehen muss. Durch authentische Einblicke in ihr Leben nehmen sie uns mit, bringen uns zum Lachen, inspirieren uns. Sie zeigen uns, was geht, wie es geht und auch, was überhaupt nicht geht. Und manchmal geben sie uns vielleicht sogar ein Stück weit mit, was wir denken sollen. Die Rede ist natürlich von Influencer:innen.
Managing Partner
TACSY
Der Influencer-Markt boomt
2024 soll er weltweit ein Volumen von 24 Milliarden US-Dollar erreicht haben, 622 Millionen davon allein in Deutschland. 85 Prozent der Gen-Zler:innen lassen sich in ihrem Shopping-Verhalten von Influencer:innen beeinflussen, bei den Babyboomer:innen immerhin neun Prozent. Und 2023 hat die Plattform HubSpot herausgefunden, dass eine:r von vier Marketing-Manager:innen bereits mit Influencer:innen gearbeitet hat.
Trotz dieser beeindruckenden Zahlen und Statistiken wird Influencer-Marketing häufig immer noch kritisch betrachtet oder nicht wirklich ernst genommen. Und auch wenn die meisten Menschen um mich herum die Relevanz von Influencer:innen mittlerweile verstehen, hören wir in der Agentur immer noch viel zu oft Sätze wie: „Warum sollen wir diesem 20-Jährigen so viel Geld bezahlen?“ oder „Wieso ist das Hawk Tuah Girl eigentlich so erfolgreich geworden?“. (Im Übrigen eine sehr spannende Fragestellung, der man eigene Artikel widmen könnte.) Erlauben Sie mir einen Perspektivwechsel, um auf die Kritik eine rationale Antwort zu geben. Betrachten wir Influencer:innen und ihre Kanäle aus Sicht der Media. Die Mediadaten der Creators liefern uns schwarz auf weiß die Reichweite und die soziodemografischen
Merkmale der Communities, die wir potenziell erreichen könnten. Und bereits während einer Kampagne kann genau getrackt werden, wer und was erreicht wurde. Nicht viele Medien können das in dieser Genauigkeit und Geschwindigkeit bieten – mal abgesehen von Social Media. Stellt sich dann noch die Frage, warum ein weiblicher Creator mit 3,5 Millionen Abonnent:innen für ein Video so viel verlangt, wie eine ganzseitige Anzeige in Deutschlands größter Tageszeitung kostet? Leider ja. Auf den Kanälen der Influencer: innen sehen wir Menschen. Menschen, mit denen wir uns identifizieren und die wir greifen, beinahe anfassen können. Allein schon deshalb betrachten wir sie kritischer, als wir es bei so etwas Abstraktem wie einem Display-Banner jemals tun würden.
Influencer:innen sind als Marketer:innen ein Hybrid.
Zu einem Teil sind sie Media-Instrument, denn sie bringen eine bestimmte Reichweite und Performance, die wir prognostizieren und auswerten können. Zu einem weiteren Teil sind sie Testimonials, denn sie sind Markenbotschafter:innen, Multiplikator:innen und geben ihr Gesicht für die Marke bzw. Sache. Und drittens sind sie Content Creators, denn sie produzieren in den meisten Fällen ihre Inhalte selbst, was viel zu oft nicht gesehen wird und letztendlich Produktionskosten spart. Mit diesem Wissen im Hinterkopf lässt sich Influencer-Marketing weitaus zielführender angehen und in den eigenen Marketingplan integrieren. Aber es geht noch weiter.
Influencer:innen sind so viel mehr als Werbeflächen.
Klar, die meisten von ihnen verdienen ihr Geld in erster Linie entweder damit, dass sie Produkte und Dienstleistungen auf unterschiedliche Art und Weise bewerben, oder damit, dass Werbung vor ihren Inhalten geschaltet wird. Das ist vollkommen in Ordnung und legitim. Schließlich sind sie vor allem durch ihre Inhalte und Personalities zu Influencer:innen geworden, und erst später kamen die Placements, mit denen sie nun ihren Lebensunterhalt bestreiten. Viele nutzen ihre Reichweite aber auch, um wichtige gesellschaftliche Themen voranzutreiben und zu unterstützen. Beispielsweise haben wir 2024 im Auftrag der Europäischen Kommission mit über 20 Influencer:innen auf die Europawahl aufmerksam gemacht. Und viele Ministerien, für die wir arbeiten, haben inzwischen erkannt, dass sie manche Zielgruppen überhaupt nur noch über Influencer-Marketing erreichen können. Für das erfolgreiche Projekt „Rainbow Wool“ von Serviceplan Köln wiederum konnten wir Influencer, Sänger, Ikone und Netflix-Star Bill Kaulitz als Schirmherrn gewinnen und weitere Influencer:innen begeistern, uns zu unterstützen. Ohne sie hätte dieses so wichtige Projekt niemals eine derart große Aufmerksamkeit generieren können.
Wie funktionieren erfolgreiche Influencer-Kooperationen?
Wenn wir mit unseren Kunden eine Influencer-Kampagne starten, ist das A und O für uns, welchen Wissensstand und welche Erwartungshaltung gegenüber Influencer:innen unsere Ansprechpartner: innen auf Kundenseite haben. Und genauso müssen wir mit den Influencer:innen, die es in die finale Auswahl geschafft haben, in den Austausch gehen und individuell erarbeiten, wie wir die Zusammenarbeitgemeinsam erfolgreich gestalten können.
Ja, wir buchen eine bestimmte Leistung, zum Beispiel zwei Feed-Posts, vier Stories und die Rechte, die Inhalte bewerben zu dürfen – und daran hängt ein bestimmtes Preisschild. Aber wir als Agentur und auch unsere Kunden sind in der Verantwortung, diese Platzierungen sinnvoll zu nutzen und den Influencer:innen die künstlerische Freiheit zu lassen, ihre Inhalte so gestalten zu können, dass sie ihre Communities auch wirklich abholen. Wenn wir zu sehr ein- und beschränken, laufen wir Gefahr, dass die Inhalte nicht performen und als Fremdkörper im Feed der Creators ein Schattendasein fristen. Gehen wir hingegen mit offenem Visier in den Austausch mit ihnen, werden Inhalte entstehen, die auf ihren Kanälen auch langfristig performen.
Influencer-Marketing ist eine spannende Social-Media-, Kreativ- und Media-Disziplin.
Die, richtig konzipiert, gesteuert und ausgespielt, bei jeder Kampagne und Thematik eine Rolle spielen kann. Von der Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen über Employer Branding bis hin zu gesellschaftspolitischen Themen: Influencer:innen können vielseitig und für jede thematische Nische eingesetzt werden und richtig Spaß machen. Die Herausforderung ist, die passende bekannte oder halb bekannte Person zu finden und für eine Kampagne zu begeistern.
PS: Programmempfehlung und Werbung in eigener Sache: Die fiktionale Serie „Bad Influencer“ (zu finden in der ARD Mediathek) beleuchtet die Welt der Influencer:innen auf satirische Art und Weise. Wir durften die Entwicklung und Umsetzung der Serie technisch und inhaltlich begleiten und unsere Perspektive mit einbringen.
Zuerst erschienen in TWELVE, dem Magazin der Serviceplan Group für Marken, Medien und Kommunikation.
Quellen:
https://www.statista.com/statistics/1092819/global-influencer-market-size/
https://www.shopify.com/blog/influencer-marketing-statistics
https://digitalmarketinginstitute.com/blog/20-influencer-marketing-statistics-
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