Während die South by Southwest Conference in ihren fünften Tag geht, zeichnet sich ein klares Narrativ über alle Themenbereiche hinweg ab: Das Zeitalter der Intelligenz erfordert einen neuen Ansatz für Unternehmen, um die KI-Transformation zu meistern, Kunden zu begeistern und in dieser neuen digitalen Ära erfolgreich zu sein.
„3000 Jahre Agrarzeitalter, 300 Jahre Industriezeitalter mit mechanischer Muskelkraft, 30 Jahre Informationszeitalter mit mechanischem Gedächtnis – und jetzt sind wir gerade einmal drei Jahre im Intelligenzzeitalter mit mechanischem Denken“, erklärte Mike Bechtel, Chief Futurist bei Deloitte. Diese komprimierte technologische Evolution hat Unternehmen, die noch mit überholten Denkmustern arbeiten, in eine Art Schockstarre versetzt.
Ian Beacraft, Chief Futurist bei Signal and Cipher, unterstrich diesen Punkt in seiner SXSW-Session: „Die Technologie von morgen kollidiert mit dem Denkmuster von gestern. Uns fehlen noch der Kontext und das Vokabular für neue Technologien – genau wie bei allen neuen Medien, die wir anfangs immer so behandeln, als wären sie einfach eine neue Version von etwas, das wir bereits kennen.“
Von Big Data zu Small Data: Der neue Wettbewerbsvorteil
Ein zentrales Thema vieler Sessions war der fundamentale Wandel im Umgang mit Daten. In den letzten 25 Jahren galt Big Data als wertvollstes Unternehmenskapital. Doch nun, so urteilen die SXSW-Experten, ist Big Data zur Massenware geworden. Große Sprachmodelle (LLMs) wurden bereits mit etwa 99 % aller verfügbaren Internetdaten trainiert und haben so einen Großteil des menschlichen Wissens kodifiziert.
„Wenn LLMs zur Massenware werden, machen sie dich durchschnittlich“, warnte Beacraft. „Wenn du das Modell einfach so nutzt, wie es aus der Box kommt, erreichst du nur den Benchmark – ohne zusätzlichen Wert.“ Der wahre Wettbewerbsvorteil liegt nun in den proprietären Daten, die Unternehmen besitzen – den weniger als 1 % an geschäftlichen und persönlichen Daten, die noch nicht in allgemeine KI-Trainings eingeflossen sind.
Von Optimierung zu Transformation
Ein weiterer entscheidender Wandel besteht darin, über reine Effizienzsteigerungen hinauszugehen und eine echte Transformation anzustreben. In den letzten 24 Monaten haben sich viele Unternehmen ausschließlich darauf konzentriert, KI zur Optimierung bestehender Prozesse einzusetzen. Doch etwas zukunftsorientiertere Speaker der SXSW plädieren für einen ganzheitlicheren Ansatz.
Mike Bechtel bedient sich des einprägsamen „Waterline-Prinzips“, das Unternehmensaktivitäten in zwei Kategorien unterteilt: Über der Wasserlinie liegt das profitable Wachstum, das durch differenzierte Produkte und Dienstleistungen erzeugt wird. Unter der Wasserlinie? Die langweiligen Dinge wie Verwaltung, Backoffice und Infrastruktur. „Zeit, die man im Sumpf verbringt, ist Zeit, die der Magie geraubt wird“, erklärte Bechtel. Während KI enorme Effizienzsteigerungen bei Aktivitäten unter der Wasserlinie ermöglichen kann, liegt der wahre Wettbewerbsvorteil darin, diese Werkzeuge zur Förderung von Kreativität und Innovation über der Wasserlinie einzusetzen.
Die Revolution der Skills: Anpassungsfähigkeit versus Spezialisierung
Die vielleicht größte organisatorische Herausforderung, die bei der SXSW 2025 diskutiert wurde, ist die vollständige Neugestaltung unseres Umgangs mit Fähigkeiten und Talententwicklung. „Der wirtschaftliche Nutzen des reinen Wissens tendiert gegen null“, sagte Bechtel. „Heute kommt es darauf an, wie du denkst – nicht was du weißt.“
In dem, was Beacraft als „das Zeitalter des Skill Flux“ bezeichnet, ist die Haltbarkeit technischer Fähigkeiten auf nur noch 2,5 Jahre geschrumpft – und sie verkürzt sich weiter. Diese Beschleunigung stellt beispiellose Herausforderungen für die berufliche Weiterbildung dar. Einige Experten prognostizieren, dass Fähigkeiten in den nächsten zehn Jahren nur noch eine Lebensdauer von sechs Monaten haben werden – während Karrieren aufgrund der steigenden Lebenserwartung immer länger werden. „Dafür gibt es keine Infrastruktur und keine historischen Referenzen“, bemerkte Beacraft. „Fähigkeiten ändern sich rapide aufgrund ihres Wertes, und die einzige Lösung besteht darin, zu verstehen, was KI für dich tun kann.“
Mehrere Speaker sehen die Lösung in einer grundlegenden Abkehr von Spezialisierung zugunsten von interdisziplinärem Denken: „Spezialisierung war bisher ein verlässlicher Weg, um auf Augenhöhe mit Best Practices zu kommen. Doch nur durch gegenseitigen Austausch entstehen neue Praktiken“, erklärte Bechtel. Unternehmen müssen nun verstärkt auf das setzen, was Bechtel „serielle Kollaborateure“ und „intellektuelle Promiskuität“ nennt: Menschen, die Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen herstellen können, anstatt eine einzelne Disziplin zu perfektionieren.
„Unsere Budgets für Lernen und Entwicklung müssen mit unseren Technologie-Budgets mithalten oder sie sogar übertreffen“, prognostizierte Beacraft. „Surge Skilling“ – also das schnelle Erlernen neuer Fähigkeiten auf Abruf – werde zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Über Technologie hinaus: Der Mensch als komplexer Konsument
Trotz all der technologischen Veränderungen bleibt eine Konstante: Marketing richtet sich nach wie vor an Menschen – und die verhalten sich nicht immer rational. Und menschliche Psychologie bestimmt weiterhin die Marktentwicklung. In einer unterhaltsamen und fundierten Session hob Nancy Harhut von HBT Marketing drei typische Fehler hervor, die Marketer im Umgang mit heutigen Konsumenten machen:
Die Annahme, dass Informationen Verhalten verändern: Inhalte und Bildung bleiben ein wichtiger Faktor, doch Harhut zeigte, dass emotionale Verbindungen die Kaufentscheidungen antreiben – selbst im B2B-Kontext, wo emotionale Botschaften den Umsatz signifikant steigern können. Sie betonte zudem den Einfluss des „impliziten Egoismus“ bei der Entscheidungsfindung – also die Tendenz, sich zu Dingen hingezogen zu fühlen, die an einen selbst erinnern).
Die Annahme, dass Menschen Preis und Wert rational verstehen: Harhut demonstrierte, wie psychologische Effekte wie der „Present Bias“ (die Bevorzugung unmittelbarer Belohnungen gegenüber zukünftigen Gewinnen), das „Mental Accounting“ (die unterschiedliche Kategorisierung von Geld je nach Herkunft, z. B. Steuererstattung oder Sonderzahlung versus regelmäßigem Gehalt) und „Magnitide Encoding“ (die unterschiedliche Wahrnehmung von Preisen je nach Darstellung) Kaufentscheidungen beeinflussen – oft entgegen klassischer ökonomischer Modelle.
Die Annahme, dass ein Bedürfnis den Kauf antreibt: Erfolgreiches Marketing appelliert nicht nur an Bedürfnisse, sondern macht sich verschiedene Prinzipien zunutze – Gegenseitigkeit (die Verpflichtung, Gefälligkeiten zu erwidern), Knappheit (das Begehren nach limitierten Dingen), Verankerung (die Beeinflussung von Kaufmengen durch Verschieben von Referenzpunkten) sowie Entscheidungsfindung im emotionalen Zustand.
Transformation und Menschlichkeit in Einklang bringen
Während das Intelligenzzeitalter Fahrt aufnimmt, werden jene Unternehmen erfolgreich sein, die technologische Transformation mit einem tiefen Verständnis der menschlichen Natur kombinieren. Sie werden KI einsetzen, um Routinetätigkeiten zu übernehmen – und ihre Mitarbeitenden befähigen, sich auf Kreativität und Strategie zu konzentrieren. Sie werden Small Language Models auf Basis proprietärer Daten aufbauen – und gleichzeitig Teams entwickeln, die über Disziplinen hinweg denken können. Und sie werden niemals die irrationalen, emotionalen und wunderbar menschlichen Aspekte des Konsumverhaltens aus den Augen verlieren, die kein Algorithmus je vollständig vorhersagen kann.
Die zentrale Botschaft der SXSW 2025 ist klar: Die Zukunft gehört nicht denen, die einfach nur KI-Tools einsetzen – sondern denen, die sich vorstellen, was mit ihnen möglich ist.
Zuerst erschienen bei Horizont.
Alle Mediaplus Updates zur SXSW hier.