Die SXSW neigt sich dem Ende zu. Mehr denn je diente die Konferenz 2025 als Spiegel unserer kollektiven Desorientierung – unserer Unsicherheiten im Umgang mit Künstlicher Intelligenz und dem rasanten technologischen Fortschritt. Die zentrale Frage, die uns alle bewegt: Wie bewahren wir unsere Menschlichkeit, während wir den Wandel umarmen?
Die Kollision von KI mit etablierten Geschäftsmodellen und drängenden ethischen Fragen, die fragile Verbindung zwischen menschlicher Erfahrung und technologischem Fortschritt sowie die Auseinandersetzung mit kulturellen Bruchlinien, die durchbrochen werden müssen, um echte Kommunikation zu ermöglichen – all das stand im Zentrum der diesjährigen Diskussionen.
Überraschenderweise spielte die aktuelle politische Lage in den USA auf den Bühnen der SXSW kaum eine Rolle. Zwei bemerkenswerte Ausnahmen: Scott Galloway sprach das Thema direkt an, und Mark Cuban stellte bei den SXSW Innovation Awards infrage, ob Menschen wie Elon Musk und Donald Trump tatsächlich für Unternehmertum stehen – oder ob sie mehr von ihrem Ego getrieben werden als vom Wunsch, echten Wert zu schaffen.
KI: Vom Digitalen zum Physischen, von Information zu Intelligenz
Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz bestimmte zahlreiche Sessions, dabei ging es weniger um ihre technologische Spezifikation, sondern um die Frage, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Besonders spannend war die Debatte um physische KI – also Künstliche Intelligenz, die über Software hinausgeht und in Form von Robotern und Maschinen aktiv in unsere physische Welt eingreift. „Dies ist der Moment, in dem KI aus ihren Käfigen in die reale Welt tritt“, bemerkte Anirudh Devgan von Cadence – eine Aussage, die gleichermaßen Staunen und Besorgnis auslöste. TED.AI-CEO Unternehmer Jerome Monceaux brachte diese Besorgnis auf den Punkt: „Ethik ist kein nachträglicher Gedanke – sie sollte den Kern dessen definieren, wie wir KI und immersive Technologien einsetzen.“
Doch wie genau das gelingen kann, blieb weitgehend unbeantwortet. Vielleicht am aufschlussreichsten war die Veränderung unseres Blicks auf Daten. Jahrzehntelang galt der Besitz großer Datenmengen als entscheidender Wettbewerbsvorteil. Doch jetzt, da große Sprachmodelle bereits 99 % der verfügbaren Internetdaten verarbeitet haben, ist dieses Paradigma überholt. Entscheidend ist nun der Besitz proprietärer Daten – jener kleinen Menge an Unternehmens- und persönlichen Informationen, die bislang nicht in allgemeine KI-Trainings eingeflossen sind.
Gleichzeitig wurde die Diskrepanz zwischen den tiefgreifenden gesellschaftlichen Auswirkungen KI-basierter Technologien und den nahezu nicht existenten regulatorischen Rahmenbedingungen immer deutlicher. Ein Panelteilnehmer brachte es pointiert auf den Punkt: „Einen Food Truck zu eröffnen erfordert mehr regulatorische Aufsicht als die Entwicklung potenziell demokratieverändernder KI-Systeme.“ Auch Lawrence Lessig von der Harvard Law School fand klare Worte: „Ohne Governance ist KI nicht nur ein Risiko – es ist eine Gewissheit, dass wir die Kontrolle über ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft verlieren werden.“
Wie KI-Agenten Marketern helfen, erfolgreich zu sein
Agentenbasierte KI-Systeme revolutionieren Unternehmensabläufe bereits heute: Sie automatisieren komplexe Aufgaben, optimieren Entscheidungen und steigern die Effizienz erheblich. Nickle LaMoreaux, Chief Human Resources Officer bei IBM, nannte ein Beispiel: „Letztes Jahr hatten 50 % der IBM-Mitarbeiter und -Manager nie ein HR-System genutzt. Doch diese Agenten, diese neue Orchestrierungsebene, ermöglicht es unseren Mitarbeitern, an einem zentralen Ort mühelos mit allen darunterliegenden Tools zu interagieren.“
IBM verzichtet bewusst darauf, KI für die Personalauswahl einzusetzen – aus Sorge vor Verzerrungen. Gleichzeitig nutzt das Unternehmen KI-Agenten jedoch selbstbewusst zur Empfehlung von Vergütungen. Die Erkenntnis daraus: Der effektive Einsatz von KI erfordert kontinuierliche, iterative Feedbackschleifen, um Entscheidungsprozesse zu verbessern, Vorurteile abzubauen und ethische Standards einzuhalten – und all das muss sich nahtlos in die Unternehmenskultur einfügen.
XR: Vom Nischenphänomen zum Mainstream
Die wachsende Zahl an Sessions zu Extended Reality-Technologien (XR) zeigt, dass sich dieses Feld von einer Randerscheinung zu einem zentralen Thema entwickelt hat: Während XR im Vorjahr nur 19 Sessions hatte, verdoppelte sich die Präsenz in diesem Jahr – samt eines eigenen Thementracks. Das ist nicht nur ein Zeichen für technologische Reife, sondern auch für ein großes Bedürfnis, physische Grenzen zu überwinden und in immersive Erlebnisse einzutauchen.
Dan Borelli von Mercury Studios betonte einen entscheidenden Punkt: „Kreatives Storytelling und immersive Erlebnisse stärken die Fanbindung enorm und ermöglichen es ihnen, ikonische Momente direkt zu erleben oder selbst zu erschaffen.“ In einer Welt, in der echte Verbindungen zunehmend schwerer zu finden sind, eröffnen diese Technologien neue Möglichkeiten für bedeutungsvolle Interaktionen.
Doch die Hardware-Herausforderungen für XR bleiben erheblich, und hier zeigt sich ein bekanntes Dilemma: Wir brauchen leistungsfähigere Geräte, um die Content-Erstellung voranzutreiben – doch ohne überzeugende Inhalte stagniert die Verbreitung dieser Geräte. Diese Spannung zwischen Kreation und Konsum, zwischen technischer Möglichkeit und praktischer Umsetzung, zog sich durch viele der aufschlussreichsten Sessions der Konferenz.
Revolution der Skills: Anpassungsfähigkeit statt Spezialisierung
Die wohl tiefgreifendste organisatorische Herausforderung, die diskutiert wurde, war nicht technologischer, sondern menschlicher Natur: Wie entwickeln wir Fähigkeiten, die relevant bleiben, wenn die Halbwertszeit technischer Kompetenzen immer weiter schrumpft? Ian Beacrafts Konzept der „Skill Flux Era“ beschreibt treffend unsere heutige Realität, in der technisches Wissen nur noch eine Lebensdauer von 2,5 Jahren hat – Tendenz fallend.
Die Lösung? Ein Wandel von Spezialisierung hin zu interdisziplinärem Denken. Das ist nicht nur eine taktische Anpassung, sondern ein grundlegendes Umdenken darüber, wie wir Wissen an sich betrachten sollten. Es ist die Frage, wie wir uns selbst und kommende Generationen auf eine Welt vorbereiten, in der Anpassungsfähigkeit wichtiger ist als spezialisierte Expertise.
Marketing: Hauptsache interessant, egal wie
Und wenn wir schon bei philosophischen Hintergründen sind: Auch die Markenkommunikation hielt uns einen Spiegel vor. Andrew und James MacKinnon von The Taboo Group brachten es treffend auf den Punkt: „Deinem Publikum ist es egal, ob du recht hast – es interessiert sich nur dafür, ob du interessant bist.“ Ihre These: Konvention führt zu Konformität, und Konformität zu Anonymität. Das wirft größere Fragen darüber auf, wie wir in einer Welt mit knapper Aufmerksamkeit sinnvolle Verbindungen schaffen.
Ihre provokante Feststellung, „Wenn es niemand hasst, liebt es wahrscheinlich auch niemand“, stellt unsere Neigung zu belanglosem Konsens infrage und erinnert uns daran, dass bedeutungsvolle Interaktion oft das Einnehmen klarer, substanzieller Positionen erfordert.
SXSW: Die sich selbst transformierende Transformations-Konferenz
Vielleicht ist SXSW selbst die treffendste Metapher für den aktuellen Wandel – eine Konferenz, die sich der Disruption verschrieben hat und nun selbst eine Transformation durchläuft. Das Austin Convention Center, ein Relikt der 1990er, wird in den kommenden Jahren abgerissen und durch einen modernen Neubau ersetzt – eine physische Veränderung, die den kulturellen Wandel Austins widerspiegelt.
SXSW war stets untrennbar mit der "Weirdness" Austins verbunden – seinen unkonventionellen Bars, freiheitsliebenden Bewohnern und seiner einzigartigen lokalen Kultur. Heute trifft diese Kultur auf den massiven Zustrom von Tech-Profis – eine Quelle für Reibung und Chancen gleichermaßen.
Beim Verlassen der SXSW 2025 bleiben nicht technologische Spezifikationen oder Marketing-Frameworks im Gedächtnis, sondern ein tieferes Verständnis dafür, wie wir gemeinsam durch fundamentale Veränderungen navigieren. Michelle Obama brachte es am letzten Konferenztag auf den Punkt: „Der Schlüssel ist, die kleinen Schritte zu erkennen, die wir unternehmen können, um nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch die Welt um uns herum zu verändern und eine Kultur der Hoffnung zu schaffen.“
Zuerst erschienen bei Horizont.
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