25.07.2024 |

Next Generation: Gen Alpha – die neue Herausforderung für Marketer

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Simone Jocham

Senior Consultant Innovation, Mediaplus Germany

Gerade grübeln wir noch über den richtigen Umgang mit der Gen Z, und schon kommt mit Gen Alpha die nächstjüngere Generation um die Ecke. Geboren ab 2010 wirbeln sie nicht nur alles durcheinander, was wir über die älteren Generationen X und Y wissen, sie unterscheiden sich auch massiv von der nächstälteren Gen Z. Klar ist, die heute bis zu 15-Jährigen werden unsere Arbeitswelt und Marktdynamiken auf revolutionäre Weise verändern. Simone Jocham, Innovationsexpertin bei Mediaplus, erklärt, warum Unternehmen jetzt genau hinschauen sollten.

Mia ist 13 Jahre alt. Ihre Morgenroutine gleicht einer digitalen Choreografie: Im Halbschlaf checkt sie die neuesten Nachrichten aus ihrem Freundeskreis, hüpft von Instagram zu TikTok und wirft einen Blick auf die Trends des Tages, noch bevor sie an ihr Frühstück denkt. Auch das Smartphone ist für Mia eine Selbstverständlichkeit, wenn sie, den Touchscreen fest im Griff, den Schulbus besteigt. Für andere eine digitale Überdosis, für Mia und ihre Altersgenossen ein ganz normaler Start in den Tag. Die Nachfolger:innen der Generation Z (1995-2010) wachsen in einer Welt auf, in der Smart Devices, Touchscreens und Apps wie YouTube, Netflix und Google Maps so alltäglich sind wie der Gang zur Schule. Kein Wunder: Ihre Eltern sind größtenteils Millennials (1980-1994), die einen technikorientierten Lebensstil pflegen und diesen an ihre Kinder weitergeben. Nicht umsonst beschreiben die Trendforscher des WDR Innovation Hub sie in ihrem Zukunftsreport als die digitalste, globalste, mobilste, sozialste und visuellste Generation, die es je gab.

Vor allem aber werden sie sehr viel Einfluss auf die künftige Wirtschaft nehmen: Bis 2025 wird die Alpha-Generation weltweit die Zwei-Milliarden-Marke überschreiten und damit die Babyboomer überholen.

Pandemie als Katalysator digitaler Bildung

Die zurückliegende Corona-Pandemie hat diese Generation beeinflusst wie keine andere. Sie stellte für die Gen Z und die darüber liegenden Generationen einen tiefen Einschnitt in die Gewohnheiten dar. Für die Gen A bedeuteten die Pandemie und die damit einhergehenden Auflagen und Beschränkungen zudem eine Beschleunigung bestehender Trends. Sie hat Kinder kreativer und resilienter gemacht. Technologie ist stärker in ihr tägliches Leben integriert als früher, gleichzeitig wissen sie mehr zu schätzen, was sie zeitweise verloren haben und was ihnen wichtig ist: Zeit mit der Familie, mit Freunden und die physische Anwesenheit in der Schule. Dadurch nimmt auch der Wunsch nach bildschirmfreier Zeit zu, was wiederum zu einer größeren Vorliebe für Podcasts führt. Besonders gefragt sind hier Comedy, True Crime und Interview-Formate. Zuhause Streamen gerät etwas in den Hintergrund. Die Generation sehnt sich zurück nach dem Kinoerlebnis, um vor dem Big Screen ohne Handy abschalten und bei den neuesten Filmtrends mitreden zu können – wie eine Studie des Research-Instituts Mccrindle zeigt.

Früh vernetzt: Social und Gaming prägen die Gen Alpha

Während die Gen Z ganz selbstverständlich mit dem Internet aufwuchs, wurde die Generation Alpha in eine sogar noch stärker vernetzte und technologieorientierte Realität hineingeboren. Lern-Apps wie „Tafeldiploma“ auf dem Tablet nutzen, sich mit interaktiven Spiele-Apps wie „Bluey“ und „Gabbys Dollhouse“ auseinandersetzen? Für Gen Alpha kein Thema, von ihren technikaffinen Eltern bekommen sie hier wenig Grenzen aufgezeigt. Ganz im Gegensatz zur Generation Z, deren Nutzung digitaler Geräte im Mittelpunkt vieler häuslicher Streitigkeiten stand.

Gerade in den letzten Jahren hat sich das Social-Media-Interesse der Alphas deutlich verlagert: weg von der sozialen Interaktion, hin zur Informationsbeschaffung. Laut der GWI Kids Studie nutzen inzwischen fast 40 Prozent der Gen Alpha Social Media, um sich via Memes, Musik und Podcasts über News und aktuelle Trends zu informieren. Zum Vergleich: Bei den vor 2010 geborenen dient Social Media vornehmlich zur zwischenmenschlichen Kommunikation und zum Zeitvertreib.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Gen Alpha ist ständig auf der Suche nach lustigen, fesselnden und visuell ansprechenden Inhalten, die sie mit Gleichgesinnten teilen können. Kein Wunder, dass Plattformen wie Discord und Reddit einen großen Boom erleben – sie bieten genau diesen sehr auf persönliche Interessen und Austausch zugeschnittenen Raum. TikTok und YouTube geben zudem die Möglichkeit, sich kreativ auszudrücken und selbst Teil der Creator Economy zu werden. Wie auch Gen Z ist Gen Alpha im Gaming-Fieber. Für die 8- bis 11-Jährigen, die noch kein Smartphone besitzen, ist es die beliebteste Freizeitbeschäftigung. Mit Spielen wie „Roblox“ und „Minecraft“ erschaffen sie sich eigene Welten und erleben aufregende Abenteuer. Bis 2021 standen hierbei noch das gemeinsame Spielen und der Online-Austausch im Vordergrund. Nur ein Jahr später, so zeigt die GWI Kids Studie, haben Single-Player-Spiele deutlich an Beliebtheit gewonnen – ein Beispiel dafür, wie schnell sich die Vorlieben der jungen User:innen ändern.

Progressiv, doch wenig autonom: Helikopter-Eltern lassen grüßen

Doch das reale Leben ist kein Spiel. Im gelebten Alltag führt die intensive Mediennutzung zu Herausforderungen. Generationenforscher Rüdiger Maas beobachtet bei der Gen Alpha eine erhöhte Unruhe und Konzentrationsschwäche. Durch die häufige Nutzung digitaler Geräte zum Lern-Support sinkt die Frustrationstoleranz. Maas sieht hier aber auch Schuld bei den Millennial-Eltern. Wie Helikopter kreisen sie um ihre überbehüteten Zöglinge, wie Schneepflüge räumen sie Probleme und Herausforderungen für ihre Kinder rigoros beiseite. Eine Vielzahl an gemeinsamen Aktivitäten und Erlebnissen lassen Langeweile erst gar nicht zu. Das Ergebnis? Die Kinder wissen sich häufig nicht selbst zu beschäftigen und Konflikte eigenständig zu lösen. Maas ist daher überzeugt, dass diese Generation trotz ihrer technologischen Kompetenz weniger autonom und leistungsfähig sein wird.

Megatrend Nachhaltigkeit wird von Klimamüdigkeit überlagert

Gleichzeitig aber ist die progressive Einstellung der Generation Alpha stark von ihren Eltern geprägt, die großen Wert auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion legen. Diese Faktoren werden daher in Zukunft wichtige Merkmale sein, nach denen sich die heute noch jungen Arbeitnehmer:innen ihre künftigen Arbeitgeber aussuchen werden. Etwas in den Hintergrund tritt dabei die Bedeutung von Umweltthemen. Noch 2021 standen sie ganz oben auf der Agenda der Gen A und Gen Z, laut neuesten GWI-Zahlen lässt das Interesse bei den Jüngeren nun nach. Der Grund: Überforderung. Zu viele Probleme, zu wenig Lösungen. Dennoch bleibt der Klimawandel präsent und äußert sich im Engagement für CO2-neutrales Leben, Flugverzicht und reduzierten Fleischkonsum. Die Generation Alpha ist trotz Klimamüdigkeit an Naturerlebnissen und Outdoor-Aktivitäten interessiert: ein Ausgleich zur digitalen Welt.

Die Zukunft der Generation Alpha wird also von einer Vielzahl komplexer und widersprüchlicher Trends geprägt. Psychische Belastungen wie Angststörungen und Depressionen werden zunehmen. Doch diesen Herausforderungen stehen auch Chancen gegenüber: Die Forschungsagentur Mccrindle prognostiziert der Gen Alpha eine höhere Lebenserwartung und eine Welt voller Möglichkeiten.  

Bei der Generation Z führten wirtschaftliche Unsicherheit und politische Unzufriedenheit bereits zu einem beobachtbaren Rechtsruck. Viele junge Menschen fühlen sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen und suchen nach klaren, einfachen Lösungen, die ihnen die AfD verspricht, wie die repräsentative Befragung der Studie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigt. Hier gilt es anzusetzen: Möglichkeiten eröffnen, für Gen Z, aber vor allen Dingen auch für Gen Alpha, die jetzt schon wichtige Meinungsbildner:innen sind.

Kaufentscheider:innen von morgen, aber auch von heute

Die Pandemie hat zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Entscheidungsbefugnisse in den Haushalten geführt: Kinder reden bei Einkäufen mit. Mit Zunahme des Online-Shoppings hat die Gen A begonnen, ihr Taschengeld selbständig zu verwalten. Dieser Trend zur finanziellen Früherziehung wird von großen Marken erkannt und genutzt: Unternehmen wie IKEA und Disney passen ihre Marketingstrategien an, um generationenübergreifende Inhalte zu schaffen, die nicht nur Eltern, sondern auch die jüngsten Familienmitglieder ansprechen.

Das zahlt sich aus: Die Jüngeren entwickeln sehr früh eine starke Markenloyalität, insbesondere für Produkte des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Snacks und Unterhaltungsangebote, aber auch bei Games. Gen A setzt so selbst Trends und beeinflusst die Popkultur. Laut Morning Consult Data fordern bereits 46 % der älteren Generation Alpha spezifische Markenprodukte an. Apps wie „GoHenry“ springen auf diesen Trend auf. Britische Eltern nutzen die App, um die finanziellen Aktivitäten ihrer Kinder zu überwachen und gleichzeitig grundlegende Finanzkenntnisse zu vermitteln.

Unternehmen müssen umdenken

Wir sehen: Die Gen Alpha tickt völlig anders. In einer Welt, in der sie zu einem einflussreichen Wirtschaftsfaktor wird, ist es für Firmen unerlässlich, ihre Strategien gezielt auf die Bedürfnisse und Erwartungen der jungen Konsumentengruppe auszurichten:

  • Attraktive digitale Erlebnisse schaffen: Für die technikaffinen Alphas ist das Internet ein natürlicher Lebens- und Lernraum. Unternehmen sollten daher nicht nur unterhaltsame, sondern auch lehrreiche, digitale Inhalte anbieten, um die Interessen der Kinder über ihren Spiel- und Lerntrieb anzusprechen. Solche Angebote können dazu beitragen, frühzeitig eine positive Markenwahrnehmung zu etablieren und langfristige Beziehungen aufzubauen.
  • Authentizität und Transparenz vermitteln: Die Generation Alpha wächst mit einem intuitiven Verständnis der digitalen Welt auf, was ein hohes Maß an Authentizität und Transparenz voraussetzt. Marken, die diese Werte in ihrer Kommunikation und ihren Geschäftspraktiken verankern, schaffen Vertrauen und ein positives Image.
  • Personalisierte Erlebnisse und Produkte anbieten: Auf individuelle Vorlieben eingehen, ist entscheidend, um die Generation Alpha zu erreichen. Produkte und Erlebnisse individuell anzupassen – nicht nur an Alter und Geschmack, sondern auch an persönliche Interessen und aktuelle Trends, die die Generation bewegen – stärkt nicht nur die Kundenbindung, sondern fördert auch die Markentreue. Personalisierung kann sich in allem widerspiegeln, von individualisierten Lern-Apps bis hin zu maßgeschneidertem Spielzeug und Kleidung.

Kurzum: Gen Alpha schaut nicht nur zu, sie treibt den digitalen Wandel selbst voran. Ihre frühe Vertrautheit mit digitalen Technologien und ihre wachsende Bedeutung für den Markt zwingen Unternehmen, traditionelle Marketingansätze zu überdenken und dynamisch auf neue Bedürfnisse zu reagieren. Es reicht nicht mehr aus, Produkte nur zu verkaufen. Die Herausforderung besteht darin, Inhalte zu schaffen, die nicht nur informieren, sondern auch inspirieren und begeistern. Letztendlich geht es darum, echte Beziehungen aufzubauen und Erlebnisse zu bieten, die so dynamisch und persönlich sind wie die Generation selbst.

Artikel zuerst erschienen in W&V.