Was bringt das Jahr 2024 für Mediaagenturen und Werbungtreibende. Welche Herausforderungen sind zu bewältigen und welche Chancen bietet es. Darüber sprach Horizont-Redakteurin Juliane Paperlein mit unserem Mediaplus-CEO Matthias Brüll. Im HORIZONT-Interview spricht er über den Einsatz von KI, die internationale Expansion unserer Agenturgruppe, unsere Nachhaltigkeits-Initiative, und ob die Aufmerksamkeit für das Klima zu einer Renaissance der Werbewirkung führen kann. Außerdem gibt er einen Rück- und Ausblick auf unsere beeindruckende Neugeschäftsbilanz.
Danke, Juliane Paperlein für das spannende Gespräch!
Herr Brüll, wie intensiv beschäftigen sich die Kunden bereits mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Mediaplanung?
Es gibt einige Kunden, die das Thema fest in den Ausschreibungen angelegt haben und für die es wichtig ist, dass die Agentur sich Gedanken macht, wie man nachhaltiger arbeitet. Aber in der Breite spielt Nachhaltigkeit derzeit eine nachgelagerte Rolle.
Obwohl die Berichtspflichten 2024 durch das Lieferkettengesetz und die Corporate Social Responsibility Directive verschärft werden, so dass auch viele kleinere Werbungtreibende betroffen sein werden?
Ja. Es ist ein sehr relevantes Thema, und wir sehen ein gesteigertes Informationsinteresse auf Kundenseite. Doch so richtig werden wir es erst 2025 merken, wenn ESG-Ziele Teil der Ausschreibungen werden.
Unternehmen müssen 2025 allerdings schon über 2024 berichten. Sie werden also Daten liefern müssen, beispielsweise zum CO2-Ausstoß von Kampagnen. Wie machen Sie das?
Für uns als Agentur bedeutet es, dass wir transparent werden müssen, bei welchen Partnern wir Mediafläche einkaufen und ob diese nach ESG-Gesichtspunkten arbeiten. Dafür brauchen wir eine Klassifizierung, mit der wir sicherstellen können, dass wir den Unternehmen zuverlässige Daten liefern. Diese Klassifizierung wird rechtzeitig vorliegen.
Sie meinen die Brancheninitiative, die Sie angestoßen haben und mit Group M, Omnicom und IPG vorantreiben?
Es geht um eine Art Zertifizierung der Medienpartner nach einheitlichen börsenüblichen ESG-Kriterien. Hierfür wollen wir ISS als unabhängigen Ratinganbieter ins Boot holen. Auf Basis dieser Scorings bilden wir einen Index, der Kunden in die Lage versetzt, Medienpartner auch in Bezug auf Nachhaltigkeit zu bewerten. So wie man heute den Mediamix nach KPIs wie Reichweite oder Affinität planen kann, wird man Medien aussuchen können, die mehr oder weniger nachhaltig sind.
Gewichten Sie die ISS-Daten dann nochmals nach eigenen Kriterien?
Nein. Wenn die Agenturen diese individuell bewerten würden, gäbe es keinen Marktstandard mehr. Die Kunden legen fest, wie sie die Faktoren gewichten, ob ihnen soziale Nachhaltigkeit wichtiger oder ein guter Carbon Footprint, oder vielleicht beides.
"Der Kunde entscheidet, was ihm wichtiger ist: soziale Nachhaltigkeit oder Carbon-Footprint – oder beides."
Sie können aber schon entscheiden, ob nun ein geringerer Carbon Footprint wichtiger ist oder gute Einkaufskonditionen.
Am Ende entscheiden die Kunden, wie wichtig ihnen die einzelnen Punkte sind. Nicht wir. Als Agentur können wir das Ranking nicht verwässern.
Viele Vermarkter haben sich zu den Scoring-Plänen kritisch geäußert, weil sie fürchten in dem übergreifenden Ranking schlecht abzuschneiden und dann aus den Mediaplänen zu fliegen.
Diese Initiative hat nur Gewinner, denn aufgrund der gesetzlichen Vorgaben sind alle darauf angewiesen, dass es einheitliche Standards gibt.
Manche Medienhäuser sehen solche Bewertungsmodelle eher als Aufgabe der JICs.
Für Vergleichbarkeit muss man einen unabhängigen Standard haben und ISS hat bereits viel Erfahrung aus dem Finanzmarkt. Irgendwo muss man anfangen. Wir diskutieren gerade außerdem, ob auch das Thema Value Media einfließen sollte.
Das in den 17 von den Vereinten Nationen definierten ESG-Zielen keine Rolle spielt. Angesichts von Hate Speach und Fake News wäre das ein ehrenhafter Angang. Wie stehen Sie dazu?
Wir brauchen etwas, mit dem wir schnell starten könnten. Ich sehe es als unsere Aufgabe, mittelfristig auch Value Media zu integrieren, würde aber ungern durch einen Schnellschuss an Glaubwürdigkeit verlieren. Man sollte sicherstellen, dass die damit verbundenen Erwartungen zum Beispiel bei der programmatischen Ausspielung von Kampagnen erfüllt werden. Wir glauben, wir haben eine Verantwortung, in welche Kanäle wir Werbegelder geben und dass man diese auch leben muss. Das Thema ist sehr politisch. Wir müssen unsere Kunden darauf hinweisen, welche Folgen ihre Investitionsentscheidungen haben, aber am Ende müssen sie entscheiden.
Die Vermarkter fürchten, dass in der Brancheninitiative wirtschaftliche Interessen der Agenturen mit dem Klimaschutz und anderen Themen vermischt werden.
Als Agentur täte man sich keinen Gefallen damit, herumzutricksen. Entscheidungsträger in Pitches gewichten das Kriterium Preis-Leistungsverhältnis derzeit sehr stark. Es ist die Entscheidung der Kunden, ob sie für Sustainable Media auch zahlen wollen.
Die Kunden – vorneweg die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) – sehen Agenturen und Vermarkter in der Pflicht, höhere Mediakosten finanziell auszugleichen.
Wir gehen in die Vorleistung, ein Modell zu schaffen, anhand dessen die Kunden entscheiden können. Die Agentur dafür bezahlen zu lassen, wäre absurd.
Andere Agenturgruppen wie Group M suchen auch weltweit nach Antworten. Braucht man nicht eine internationale Lösung für die Ermittlung von ESG-Scores?
Wir sagen: Lasst uns mit etwas starten, das im mitteleuropäischen Raum funktioniert, damit wir hier antwortfähig werden. In der EU ist Nachhaltigkeit sehr wichtig, USA und China sind noch nicht soweit. Digitale Werbung hat über Programmatic Advertising einen gigantischen Carbon Footprint. Das Thema braucht mehr Aufmerksamkeit.
"Werbung wird immer aggressiver. Wir brauchen wieder mehr Push- statt Pullwerbung."
Durch intelligente Mediabuchungen könnte sowohl der Carbon Footprint reduziert werden als auch die Werbewirkung verbessert, beispielsweise indem mehr Werbung im sichtbaren Bereich oder in hochwertigen Umfeldern ausgespielt wird. Könnte es durch ESG zu einer Renaissance der Werbewirkung kommen?
Ich denke ja. Es wird ein Umdenken geben. Werbung wird immer aggressiver. Man kann die Massen an Waren aber nicht mehr nur in die Köpfe hineindrücken. Wir brauchen wieder mehr Pull- statt Push-Werbung.
Einige große Kunden holen derzeit Teile von Mediaplanung und -einkauf ins eigene Haus. Was halten Sie vom Inhousing?
Dafür braucht man qualifizierte Leute und diese sind sehr gefragt. Sie müssen up to date bleiben und man muss laufend in ihre Weiterentwicklung investieren. Das bedeutet erheblichen Aufwand für die Kundenseite. Zudem müssen sich die Konditionen auf Marktniveau bewegen. Ich habe schon viel Inhousing gesehen, aber auch, dass Medialeistungen wieder an die Agentur ausgelagert werden. Das bewegt sich meist in Wellen.
Wird Künstliche Intelligenz dazu führen, dass mehr Kunden Media dauerhaft ins eigene Haus holen?
Ich gehe davon aus, dass KI dazu führt, dass die Kunden in nächster Zeit genauer hinsehen, was ihre Agentur macht und ob sie es selbst übernehmen können. Aus meiner Sicht macht es aber mehr Sinn, in einer engen Kooperation ein hybrides Modell mit der Agentur umzusetzen. KI kann Abläufe automatisieren und Daten schneller verarbeiten, es ersetzt aber keine Fachexpertise.
Es gibt noch so eine Entwicklung: Die letzten großen Pitches waren alle über mehrere Länder ausgeschrieben. Ist auch das nur eine Welle oder doch ein nachhaltiger Trend?
Die Bündelung von Etats werden wir dauerhaft sehen, weil die Medienlandschaft durch die Digitalisierung zentraler wird. Bestimmte Medien werden immer größer und damit lässt sich ein Teil der Investitionen zentral steuern. Wir haben mit Mediaplus International eine zentrale Unit mit mehr als 100 Leuten geschaffen, die in Kooperation mit den einzelnen Ländern global für Kunden arbeiten, beraten, ausliefern. Ich habe in den letzten Jahren kaum einen Pitch erlebt, in dem man sich in unterschiedlichen Märkten für unterschiedliche Agenturen entschieden hat. Hinzu kommt die Effizienz. Aus Kundensicht macht es Sinn, die Etats zu bündeln und mit einheitlichen Tools und KPIs zu arbeiten und sich nicht um drei verschiedene Agenturen zu kümmern und die Schwierigkeiten zu managen, die diese miteinander haben.
Ist es als kleinere Agenturgruppe wichtig, sich internationaler aufzustellen, damit die großen Networks nicht irgendwann das ganze Geschäft machen? Treiben Sie deshalb die Internationalisierung so voran?
Wir haben diese eher beschleunigt, weil wir wussten, dass unsere Kunden Wachstum im Ausland suchen. Das heißt, wir kaufen immer dort zu, wo wir Bedarf für die Kunden sehen. 2023 haben wir nach Alma auch noch Equmedia in Spanien zugekauft und unter dem Dach der Mediaplus den größten unabhängige Player geschaffen. Das internationale Geschäft soll bis 2024/25 auf 70 bis 80 Prozent steigen und das bei weiterem Wachstum auch in Deutschland.
Das wird ohne starkes Wachstum in UK und dem größten Werbemarkt USA nicht gehen. Werden Sie hier auch noch weiter zukaufen?
Europa ist für uns wichtig, denn hier ist unser Schwerpunkt. UK ist ein sehr strategischer Markt, denn viele Networks haben dort ihr Headquarter. Wir sind in Großbritannien eng mit Total Media verbunden. Mal sehen, welche Richtung wir hier 2024 einschlagen werden. In den USA haben wir bereits einen starken Standort in New York, aber natürlich ist unser Ziel, schnell größer und ein relevanter Player zu werden. In Asien möchten wir uns mittelfristig ebenfalls verstärken.
Steigt das wirtschaftliche Risiko für Agenturen, wenn die Kunden mehr Länder von nur einer Agentur betreuen lassen?
Man muss schon aufpassen, dass das eigentliche Produkt kontinuierlich stark bleibt, denn der Wettbewerb um die großen Etats wird härter werden. Das ist zwar ein Risiko, aber auch eine Riesenchance. Man muss eben mehr gewinnen als verlieren und es ist wichtig, dass man Kunden hat, die einen weiter bringen und einen fordern.
Mediaplus hat in diesem Jahr zahlreiche Pitches gewonnen: Otto/Bonprix, Eon, Ehrmann, Jägermeister… Sind Sie stolz?
Ja, natürlich! Wir haben nahezu alle Pitches gewonnen. Ehrlich gesagt habe ich eine solche Gewinnrate in meinen 25 Jahren Agentur noch nicht erlebt. Wir bieten ein gutes Kundenverständnis, ein großes Konsumentenwissen und eine exakte Ausspielung. Das ist, glaube ich, der Grund, warum wir derzeit solchen Erfolg haben, mit dem, was wir machen. Und warum nun auch Kunden an uns Interesse zeigen, für die wir bislang unter dem Radar geflogen sind. Sie merken, dass sich das Mediageschäft heftig dreht, und schätzen Partner, die sich schnell auf neue Gegebenheiten einstellen und ihre Kunden nicht in die eigenen Systeme zwängen wollen. Wir bauen flexible Modelle wie zum Beispiel The Marcom Engine für BMW – und das kommt an. Wir scheinen etwas richtig zu machen, auch wenn wir in den globalen Rankings von den großen Gruppen noch entfernt sind.
Sie haben als Ziel ausgegeben, in Deutschland dauerhaft in den Top 3 von Recma und Comvergence zu rangieren. Bei beiden haben Sie 2022 einen großen Sprung bei den Billings gemacht und es auf Rang 3 geschafft. Werden Sie das 2023 mit den Etatgewinnen halten können?
Wir sind 2022 erstmals neben den großen Networks in einem globalen Comvergence-Ranking gelistet worden, und das, obwohl wir das Russland-Geschäft abschreiben mussten. Darauf sind wir sehr stolz. Wir werden 2023/24 etwa so wachsen wie im letzten Geschäftsjahr – also über 20 Prozent. Im Qualitätsranking von Recma stehen wir seit Jahren auf Platz 1. Was viele nicht wissen: Recma bewertet 676 Agenturen weltweit. Und es gibt auf der ganzen Welt keine Agentur, die mehr Punkte hat als wir. Das muss man verteidigen, aber wir haben eine hohe Stabilität im Management und den Teams. Das hilft uns dabei, Qualitätsführer zu sein.
Der Fachkräftemangel ist aktuell ein großes Thema. Woher bekommen Sie die Mitarbeiter*innen für das ganze Neugeschäft? Sie wollen ja nicht bestehende Kunden vergrätzen.
Zum einen hat sich das Gewicht der Gattungen verändert, dadurch braucht man in manchen Bereichen weniger Leute. Diese Talente muss man durch Coachings und Weiterbildungsprogramme in andere Bereiche hineinbringen, das machen wir auch. Zum zweiten haben wir ein exzellentes Trainee- und Ausbildungsprogramm. Es ist wichtig, selbst auszubilden und die Mitarbeiter*innen zum Teil der eigenen Kultur zu machen. Und drittens haben wir per se eine Personaldecke, mit der wir in der Lage sind, einiges abzufangen, weil unser Grundgerüst nicht bis zum letzten ausgereizt ist. Wir müssen bei einem Etatgewinn nicht erst Leute beim Wettbewerb suchen, die dann ein Dreivierteljahr später da sind. Gezielt holen wir zwar auch mal Leute aus anderen Agenturen, aber das vor allem, um Impulse von außen zu bekommen.
Die Idee der Houses of Communication ist es, integrierte Betreuung anzubieten. Nutzen die Kunden das auch – oder werden am Ende doch nur Einzelleistungen gebucht?
Es wird mehr. Wir wissen, wie man mit Kreativagenturen zusammenarbeitet. Das ist bei einer Serviceplan Group anders als bei einer Netzwerkagentur. Dort gibt es zwar auch Kreation und Media, aber es sind vollkommen verschiedene Agenturen und Kulturen. Gewinnen wir einen Kunden für Media, kommt er häufig auf die Idee, mit uns auch kreationsseitig zusammenzuarbeiten oder mit der Plan.net. Solche Modelle stellen wir hier bei uns unkompliziert auf.
Das Interview ist erschienen in der Horizont-Ausgabe 1 /2024 vom 11.1.2024 sowie am 10. Januar 2024 bei Horizont Online