In letzter Zeit häufen sich Berichte von Menschen, die ihre eigene Stimme in Werbespots hören – ohne jemals ihr Einverständnis dafür gegeben zu haben. Was früher nach Science-Fiction klang, ist heute Realität: KI-Voice Cloning ist da – und verändert die Medienlandschaft im Golf-Kooperationsrat GCC. Ob personalisierte Werbung in regionalen Dialekten oder KI-gestützte Concierges, die Hotelgäste auf Khaleeji-Arabisch begrüßen: Synthetische Stimmen werden zum neuen Klang der Verbindung, also der Art und Weise, wie wir miteinander in Kontakt treten. Und in vielerlei Hinsicht funktioniert das auch. Die Stimmen wirken authentisch. Sie sprechen so, wie wir es tun. Doch je verbreiteter diese Technologie wird, desto größer werden auch die Fragen: Wessen Stimme darf sprechen? Und wer hat die Kontrolle darüber?
Die Technologie, die spricht wie wir
Das Klonen von Stimmen funktioniert schon heute verblüffend gut. Bereits wenige Sekunden Audiomaterial reichen aus, damit die KI Tonfall, Rhythmus und Akzent so nachbildet, dass eine synthetische Stimme von einer echten menschlichen kaum mehr zu unterscheiden ist.
In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) nutzen Marketing-Teams bereits KI-generierte Voiceovers, um Werbung in großem Umfang zu lokalisieren. So hat das in Dubai ansässige Startup CAMB.AI eine Echtzeit-Synchronisations- und Voice-Cloning-Technologie entwickelt, die in Werbung und Filmen eingesetzt wird. Sie passt Stimmen an verschiedene Dialekte an und nutzt dynamische Inhalte, die sich je nach Standort unterscheiden: wie Dubai, Riad oder Doha (Quelle: Adgully).
Auch die Voice-Plattform Verbatik bietet lokalisierte Stimmen in emiratischem Arabisch für digitale Werbeformen, sodass Marken regional relevante Kampagnen erstellen können (Quelle: Verbatik).
Und global? Hier gehen Marken noch einen Schritt weiter: Sie nutzen KI-Stimmen-Dubbing mit Prominenten, um Kampagnen stärker zu personalisieren. Ein Beispiel: die Diwali-Kampagne von Mondelēz, bei der Spots geografisch ausgesteuert und Händlernamen je nach Standort des Publikums angepasst werden konnten (Quelle: The Guardian).
Das alles klingt nach einer Win-win-Situation?
Nun, nicht unbedingt. Für Menschen, deren Stimmen ohne ihre Zustimmung kopiert werden – oder deren Dialekte gar nicht erst berücksichtigt sind – wirft dies ernste Fragen auf. Wem gehört eigentlich eine Stimme? Und hilft uns diese Technologie wirklich, besser zu kommunizieren – oder nimmt sie uns etwas Wesentliches?
Was steht wirklich auf dem Spiel?
Die Stimme ist etwas sehr Persönliches. In der arabischen Kultur ist sie nicht nur die Art und Weise, wie wir sprechen, sondern auch, wie wir miteinander in Verbindung treten. Sie transportiert Erinnerungen, Emotionen und Identität. Ein einziges Wort kann verraten, woher jemand kommt, oder Sie an die Stimme eines Familienmitglieds erinnern.
Wenn man also etwas hört, das genau wie jemand klingt, den man kennt, aber nicht wirklich von dieser Person stammt, kann das seltsam und sogar ein wenig beunruhigend sein. Als wäre einem etwas Nahestehendes genommen und ohne zu fragen verwendet worden.
Es geht nicht nur um Daten. Es geht um Würde.
Deshalb darf Zustimmung nicht optional sein. Die unbequeme Wahrheit: Viele Menschen merken gar nicht, dass ihre Stimme verwendet wird. Vielleicht stammt sie aus einem Podcast, einem Video, das sie vor Jahren hochgeladen haben, oder sogar aus einer online geteilten Sprachnotiz. Und plötzlich ist sie da: die eigene Stimme – in einem Kontext, dem man nie zugestimmt hat.
2023 sorgte ein Fall mit einem YouTuber für Aufsehen, als ein Unternehmen seine Stimme ohne Zustimmung für Werbezwecke klonte. Ein Fall, der deutlich machte, wie einfach es ist, die Stimme einer Person zu missbrauchen, und wie schnell sich so etwas verbreiten kann. Überall auf der Welt.
Es gibt nicht die eine „arabische“ Sprache
Arabisch ist nicht eine Sprache, sondern viele. Jede mit ihrem eigenen Charakter, Rhythmus und ihren eigenen Wurzeln. Das Arabisch der Vereinigten Arabischen Emirate unterscheidet sich vom Arabisch Saudi-Arabiens, das sich wiederum vom Arabisch Bahrains unterscheidet. Viele KI-Tools halten jedoch weiterhin an einem „neutralen” und übermäßig formellen Dialekt fest.
Wenn das passiert, gehen nicht nur Details verloren, sondern auch unsere Identität. Die Stimmen, die uns ausmachen – die Insider-Witze, die lokale Umgangssprache, die Herzlichkeit – all das wird letztlich zu etwas Generischem, etwas Austauschbarem geglättet.
Laut dem „GCC Tech Pulse Report 2025“ von Gulf Data Insights können fast die Hälfte der Verbraucher:innen in den Vereinigten Arabischen Emiraten den Unterschied zwischen synthetischen und echten arabischen Stimmen in der Werbung nicht mehr erkennen.
Das ist beeindruckend. Aber auch ein wenig beunruhigend.
Was sich ändern muss
Dies ist kein Plädoyer gegen Innovation. Es ist ein Aufruf, sie verantwortungsbewusst zu gestalten. Drei Punkte sind dabei besonders entscheidend:
1. Menschen die Kontrolle über ihre Stimme geben. Stimmen sollten nur auf Basis klarer Lizenzen genutzt werden dürfen – etwa über Smart Contracts oder Opt-in-Register. Öffentlich verfügbar bedeutet nicht automatisch frei verwendbar.
2. Dialekte und kulturelle Nuancen schützen. Tools müssen die ganze Bandbreite arabischer Dialekte abbilden, nicht nur das Hocharabische. Dafür braucht es Muttersprachler:innen und kulturelle Expertise. Und Transparenz: Wenn eine Stimme KI-generiert ist, sollte das offen gesagt werden.
3. Klare Regeln und Gesetze schaffen. Der GCC kann hier vorangehen – mit Voice-Rights-Gesetzen, zertifizierten ethischen Kampagnen und Aufklärung: Die Stimme ist eine Datenquelle und verdient Schutz.
Eine große Chance für den GCC
Die Vereinigten Arabischen Emirate haben bereits wichtige Schritte im Bereich Ethik und KI unternommen – von Dubais Ethical AI Toolkit bis hin zur National AI Strategy 2031. Dieses Momentum sollte auch auf Voice-Tech ausgeweitet werden.
Stellen Sie sich vor, Sie sehen einen Werbespot in Ihrem Dialekt. Er klingt vertraut. Später erfahren Sie, dass die Stimme künstlich war, aber der Schauspieler seine Zustimmung gegeben hat, dafür bezahlt wurde und stolz auf seine Arbeit ist.
So entsteht Vertrauen. Nicht allein durch Technologie, sondern durch Transparenz und Respekt.
Fazit: Ihre Stimme zählt
Mit der Verbreitung synthetischer Stimmen lautet die eigentliche Frage nicht „Klingen sie echt?“ – sondern: „Vertreten sie uns – oder ersetzen sie uns?“
Im arabischen Raum war Stimme immer das Medium, mit dem Geschichten, Kultur und Bedeutung weitergegeben wurden. Das darf nicht im Lärm der Innovation verloren gehen.
Denn ob echte oder geklonte Stimme – das Prinzip bleibt dasselbe: Die Stimme gehört ihrem Ursprung.
Und so wie Musiker bezahlt werden, wenn ihre Songs gespielt werden, ist es vielleicht an der Zeit, dass auch Voice Artists von einem vergleichbaren Modell profitieren: ihre Stimmen lizenzieren, daran verdienen – und nicht einmalig im Studio abgeben, um dann vergessen zu werden.
Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht in LBB.